Die Poesie des Weines

 

Wenn Sie Ihr Weinglas schwenken um kurz darauf zu einem tiefen Atemzug anzusetzen, der verschiedenste, nicht immer näher zu beschreibende Aromastoffe durch die Nase in Ihr Denkzentrum lenkt, werden Sie dann auch sanft in Ihre Fantasie getragen?

Ich schon. Dieser kleine kurze Atemzug, der wenige Sekunden braucht um meine Gedanken anzuregen, entführt mich in eine andere Welt. In eine Welt, die aus Düften, Musik und hügeligen, teils bewaldeten Landschaften besteht. Die Düfte sind aus allen Stadien meines Daseins entlehnt. Sie stammen genauso aus meiner Kindheit wie vom Sonntagsausflug auf die Rigi von letzter Woche. Sie sind nicht genau zuzuordnen, was aber auch nicht wirklich nötig ist. Ob Brombeeren, Himbeeren, feuchtes Holz, frisches Gras oder einfach nur wohlgefälliger Duft ist dabei fast egal. Genauso egal wie wenn ich auf ein Gemälde schaue und das Auge dabei einfach nicht satt wird. Formen und Farben sind entgegen der Erwartung nicht auf ihre Positionen beschränkt. Sie bewegen sich in einem Spiel, tänzeln in immer neue Zusammensetzungen und lösen bei mir die verschiedensten Gedanken aus. Es braucht keine Erklärung, schon gar keine Anleitung. Nein, es ist mein eigenes originäres Empfinden, ein Produkt meiner selbst und genau das macht das Erlebnis aus. Und obwohl dieses Erlebnis nicht akustisch begleitet wird, nehme ich wunderbare Töne wahr. Eine Komposition, die aus meinem Innern stammt. Wahrscheinlich hatte sich diese Melodie schon lange in irgendeiner Ecke meiner Erinnerung festgesetzt ohne dabei zum Ohrwurm zu werden. Und auch jetzt. Sie ist nicht aufdringlich sondern umschmeichelt meine Sinne. Sie kann laut sein oder auch leise. Eine Fanfare, die den bevorstehenden Weingenuss ankündigt und Glücksgefühle auslöst. Ich sitze in Gedanken unter jenen toskanischen Kastanienbäumen auf dem Gutshof in der Nähe von Lucca, die mir die warmen Sonnenabende im letzten Urlaub noch angenehmer machten. Und dann setze ich das bauchige Weinglas entrückt auf meine Lippen an. Ganz langsam, geradezu vorsichtig, als könnte das Glas zerbrechen. Und dann ist es endlich da. Das Ergebnis meiner Sinne.

Alla vostra salute!

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